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Die neophobia-Studie untersuchte die Kultivierung von Zukunftsängsten durch dystopische Unterhaltungsmedien, welche im Folgenden synonym mit „Dystopien“ bezeichnet werden. Dieses Genre war grundlegend für die Untersuchung, da es dem Rezipienten eine mögliche, jedoch überspitzte Version einer negativen Zukunft aufzeigt. Das Anwenden der Kultivierungshypothese ermöglichte es, die Inhalte der Unterhaltungsmedien mit den Vorstellungen und Ängsten der Rezipienten zu vergleichen. Die Studie wurde mit einer finanziellen Hilfe der Ludwig-Delp-Stiftung durchgeführt.
Die in den 1970er Jahren von George Gerbner begründete Kultivierungsthese geht davon aus, dass Fernseh-Vielseher ein anderes Bild von der Realität haben als Fernseh-Wenigseher. Durch die medialen Inhalte entsteht ein verzerrtes Weltbild beim Fernseh-Vielseher. Er gleicht unbewusst die Wahrnehmung der Realität an die Fernseh-Realität an (Gerbner & Gross 1976). Deshalb wurden in einer solchen Studie die Inhalte des Fernsehens durch eine Inhaltsanalyse ermittelt, während die Realitätswahrnehmung durch eine Befragung analysiert worden ist. Lange konzentrierten sich derartige Studien auf die gesamte Fernsehlandschaft und nicht auf die Differenzierung einzelner Genres (Rossmann 2002; Bilandzic 2002; Davis & Mares 1998). Aufgrund der gestiegenen thematischen Vielfalt im Fernsehen wurden in den vergangenen Jahrzehnten aber vermehrt Kultivierungsstudien durchgeführt, welche spezifisch einzelne Genres betrachten. Die Untersuchung des Genres Dystopie und die damit verbundene Kultivierung von Bildern über die Zukunft ist jedoch bisher nicht vorgenommen worden, weswegen das neophobia-Projekt eine Pionierstudie darstellt.
Als dystopische Unterhaltungsmedien wurden Filme und Serien definiert, die eine negative Darstellung der zukünftigen Welt zeigen. Ursache der katastrophalen Umstände sind dabei die Menschen selbst. Meistens wird das menschliche Verhalten der Gegenwart aufgegriffen und gezeigt, zu welchem Schaden dieses in der Zukunft führen kann. Idealtypische Vertreter dystopischer Unterhaltungsmedien sind unter anderem die Filme 1984 und The Day after Tomorrow sowie die Serie Black Mirror.
Aufgrund des wissenschaftlich anerkannten Einflusses von Medien auf Rezipienten wird vermutet, dass die in dystopischen Unterhaltungsmedien dargestellte Zukunft einen Einfluss auf die Zukunftsangst der Rezipienten hat und folglich zu Veränderungen der individuellen Einstellung oder des Verhaltens des Rezipienten führen kann. An dieser Stelle wird von drei unterschiedlichen Kultivierungsstufen gesprochen. Zunächst gibt es die Kultivierung erster Ordnung, durch welche die Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten, Häufigkeiten und Verteilungen von Zukünftigem beeinflusst wird. Anschließend folgt die Kultivierung zweiter Ordnung, unter welcher die Einflüsse der dystopischen Unterhaltungsmedien auf die Zukunftseinstellungen und -ängste verstanden werden, sowie die Kultivierung dritter Ordnung, welche sich auf das zukunftsgerichtete Verhalten der Rezipienten bezieht.
Zukunftsängste sind Visionen, wie sich Menschen eine negative Zukunft oder zukünftige Ereignisse vorstellen, die nicht eintreten sollten. Eine Hypothese von neophobia war u.a., dass, je nachdem wie stark diese Zukunftsangst ausgeprägt ist, sie dazu führen kann, dass Menschen ihre Einstellungen und ihr Verhalten in der Gegenwart verändern (Kultivierung dritter Ordnung). Die dystopische Serie Black Mirror zeigt beispielsweise in mehreren Folgen, dass die Menschen der Zukunft ein Gehirn-Implantat tragen. Beim Rezipienten könnte dadurch die Angst vor einer solchen medizinischen Entwicklung ausgelöst werden, und dies könnte dazu führen, dass er neue gesundheitliche Verfahren verweigert.
In traditionellen Kultivierungsstudien wird die mediale Darstellung mit der Realität verglichen (Gerbner & Gross 1976). Die Daten über die Realität werden dabei „real world indicators“ genannt. Im Fall der hier vorliegenden Studie entfiel diese greifbare Realitätsdimension, da die zu untersuchenden Ereignisse in der Zukunft liegen. Deswegen wurden wissenschaftliche Zukunftsprognosen als Vergleichsinstanz genutzt („future real world indicators“). Durch die Diskrepanz zwischen ihnen und den Angaben der Rezipienten in der Befragung konnte auf eine Kultivierung von Zukunftsängsten durch dystopische Unterhaltungsmedien geschlossen werden. Gleichzeitig erweitert die Studie in dieser Hinsicht die traditionelle Kultivierungsforschung.
Das abgebildete Modell verdeutlicht den vermuteten Prozess des Einflusses dystopischer Filme und Serien auf die Zukunftsängste der Rezipienten.
Abb. 1: Spezifisches Wirkungsmodell der Kultivierung durch dystopische Unterhaltungsmedien (eigene Darstellung)
Das Ziel des Projektes war es herauszufinden, ob Vielseher dystopischer Unterhaltungsmedien im Vergleich zu Normal- und Wenigsehern mehr Angst vor der Zukunft haben. Vielseher definierten sich im Rahmen dieser Studie dadurch, dass sie mehrmals im Monat dystopische Unterhaltungsmedien rezipierten und eine gewisse Anzahl dystopischer Filme und Serien kannten. Normalseher weisen eine durchschnittliche Rezeption von Dystopien auf, während Wenigseher als Verweigerer dieses Genres angesehen werden können.
Die Arbeit knüpfte an die Publikation „Kommunikative Konstruktion von Zukunftsängsten: Imaginationen zukünftiger Identitäten im dystopischen Spielfilm“ (2016) der Soziologin Leila Akremi an, die eine qualitative Inhaltsanalyse von Filmen zur Identifizierung von Hauptthemen („Angstsettings“) im Genre Dystopie durchführte. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sich dystopische Filme in die folgenden vier Hauptthemen einteilen lassen:
-
Totalitarismus,
-
Super-Gau,
-
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik sowie
-
Eskalation von Gewalt.
Um die Angstsettings aufzuschlüsseln und greifbar zu machen, wurden in der Studie sogenannte Metabotschaften (vgl. Dunkl 2015) aus den Filmen und Serien extrahiert. Diese ergaben sich aus den verschiedenen Bausteinen eines Unterhaltungsmediums: ein Film oder eine Serie besteht aus unendlich vielen Handlungselementen, die sich zu einem Szenario bündeln lassen. Ein Unterhaltungsmedium besitzt nur ein Szenario, welches somit das Hauptthema darstellt. Anhand des Szenarios lässt sich der Film oder die Serie einem oder mehreren Angstsettings zuordnen, wobei meist eines dominant vertreten ist.
Durch die Nutzung von medial erzählten Dystopien werden alle Bausteine des Inhalts und indirekte Informationen, die Metabotschaften, an den Rezipienten übertragen. Diese vereinfachen dem Zuschauer vor allem die Entschlüsselung und Interpretation des Inhalts (Dunkl 2015). Eine Metabotschaft besteht im Rahmen des Genres Dystopie, aber auch aus Angst vor der Zukunft. Eine Metabotschaft, die konstitutiv für das Angstsetting Super-Gau steht, ist z. B. „Leben in ständiger Angst vor neuen Katastrophen (Kriege, Naturkatastrophen, …)“. Aus diesem Grund versuchte neophobia in der Studie herauszufinden, ob sich gewisse Zukunftsängste von Dystopie-Rezipienten u.a. auf die dargestellten und transportierten Ängste in dystopischen Unterhaltungsmedien zurückführen lassen.
Die forschungsleitende Frage lautete daher:
Werden durch den Konsum von dystopischen Filmen und Serien Zukunftsängste kultiviert, die den Metabotschaften dieser Formate entsprechen?
In der vorgestellten Studie wurden die o.g. Kultivierungsstufen als drei abhängige Variablen betrachtet. Darüber hinaus wurde geprüft, inwiefern sich die Persönlichkeitsmerkmale der Vielseher von denen der Normal- und Wenigseher unterschieden. Zuletzt wurde ermittelt, inwieweit die Rezipienten- und Rezeptionsvariablen sowie die Rezipientenumwelt die Unterschiede in der Angst vor dystopischen Szenarien erklären können. Das Erhebungsdesign der Studie bestand aus einem dreiteiligen Vorgehen, welches eine standardisierte Inhaltsanalyse, eine quantitative Online-Befragung sowie vier halbstandardisierte Leitfaden-interviews beinhaltete.
Durch Analyse und Recherche aktueller dystopischer Unterhaltungsmedien kam die Gruppe zu der Erkenntnis, dass ein neuer thematischer Trend zu verzeichnen war. Es stellte sich vor Beginn des ersten methodischen Schritts, der Inhaltsanalyse, daher die Frage, ob eine Erweiterung der Hauptthemen bzw. Angstsettings sinnvoll wäre. Aktuelle dystopische Unterhaltungsmedien befassen sich heutzutage vermehrt mit dem Einfluss moderner Technik und der sozialen Medien auf die Gesellschaft. Die Medien sind nicht lediglich Vermittler dystopischer Szenarien, sondern können selbst zu dystopischen Inhalten werden. Die vier Angstsettings wurden daher von neophobia um ein fünftes erweitert: Mediokratie. Idealtypische Filme für die jeweiligen Angstsettings sind zum Beispiel:
Totalitarismus: 1984 & Equilibrium;
Super-Gau: Mad Max & The Day after Tomorrow;
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik: Terminator & Matrix;
Eskalation von Gewalt: Battle Royal & In Time;
Mediokratie: The Circle & Nerve.
Es sei angemerkt, dass es aufgrund thematischer Überschneidungen keine vollkommene Trennschärfe zwischen den fünf Angstsettings geben kann. Die Angstsettings Totalitarismus und Super-Gau überschneiden sich beispielsweise in der Thematik eines Atom- oder Weltkrieges.
Akremis Inhaltsanalyse dystopischer Filme diente der vorliegenden Arbeit als Grundlage der eigenen Inhaltsanalyse, welche um dystopische Serien erweitert wurde. Aus den grundlegenden fünf Angstsettings wurden mehrere Metabotschaften extrahiert und synthetisiert, was zu 14 finalen Metabotschaften in Dystopien führte. Diese spiegeln die Inhalte der dystopischen Unterhaltungsmedien wider und werden an den Rezipienten vermittelt. Aufgrund der Synthese musste überprüft werden, welches Angstsetting von welcher Metabotschaft vertreten wird. Die Zuordnung von Metabotschaften zu Angstsettings erfolgte über eine Intensitätsskala. Durch die Synthese, welche aufgrund des neuen Settings Mediokratie nötig war, konnten die Metabotschaften unterschiedlich stark in mehreren Settings vertreten sein. Es stellte sich heraus, dass jedes Angstsetting über eine Metabotschaft verfügt, welche nur in diesem Setting vermittelt wird und dementsprechend konstitutiv für dieses Setting steht.
Tab. 1: Konstitutive Metabotschaften der Angstsettings
Angstsetting |
Konstitutive Metabotschaft |
Totalitarismus |
MB2: Ideologien lösen moralische Kodexe und Religion ab |
Super-Gau |
MB11: Leben in ständiger Angst vor neuen Katastrophen (Kriege, Naturkatastrophen, …) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
MB9: Technik übernimmt Hoheitsanspruch der Menschen und ihrer Lebensräume |
Eskalation von Gewalt |
MB6: Entstehung von Ghettos, rechtsfreien Zonen, Parallelwelten durch extreme soziale Ungleichheit (strukturelle Gewalt) |
Mediokratie |
MB12: Private Informationen werden dauerhaft online preisgegeben, z.B. auf Social Media; Entstehung eines Perfektionszwangs |
Zwei der Metabotschaften waren in jedem Angstsetting vertreten und gelten damit als Über-Metabotschaften des Genres Dystopie. Sie werden durch jedes dystopische Unterhaltungsmedium im Rahmen jedes Angstsettings an den Rezipienten vermittelt. Diese lauten: Über-MB-A „Gewaltbereitschaft und Toleranz gegenüber Gewalt steigt extrem an“ und Über-MB-B „Gesellschaftlicher Werteverfall und Moralverlust“.
Basierend auf den 14 Metabotschaften wurde ein Code-Buch für eine standardisierte Inhaltsanalyse der dystopischen Unterhaltungsmedien erstellt. Ziel dieser Analyse war es, die Existenz der Metabotschaften in Dystopien zu bestätigen sowie die Unterhaltungsmedien einem der fünf Angstsettings zuzuordnen. Dieser Schritt war besonders wichtig, da diese Studie Serien mit einbezog, welche bei Akremis Ausarbeitungen (2016) noch nicht berücksichtigt worden waren, und auch weil neophobia ein ergänzendes Angstsetting ausgearbeitet hat, das mit Hilfe der Studie erprobt werden sollte. Die Stichprobe wurde durch eine bewusste Auswahl zusammengesetzt. Sie bestand aus idealtypischen Filmen, Blockbustern und Serien. Insgesamt wurden 9 Serien und 20 Filme analysiert, welche im Folgenden den jeweiligen Angstsettings zugeordnet sind. Die Inhaltsanalyse bestätigte die Existenz der 14 dystopischen Metabotschaften.
Tab. 2: Liste der Filme und Serien sowie ihrer Zuordnung zum jeweiligen Angstsetting
Film / Serie |
Angstsetting |
Ghettogangz (2004, 2 Filme) |
Eskalation von Gewalt |
Rollerball (1975) |
Eskalation von Gewalt |
Battle Royale (2000, 2 Filme) |
Eskalation von Gewalt |
In Time – Deine Zeit läuft ab (2011) |
Eskalation von Gewalt |
Cleverman (2016) |
Eskalation von Gewalt |
The 100 (2013) |
Eskalation von Gewalt |
Matrix (1999) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
Terminator (1984, Reihe) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
Blade Runner (1982, Reihe) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
Ex Machina (2015) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
Almost Human (2013) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
Humans (2015) |
Konkurrenz zwischen Mensch und Technik |
The Circle (2017) |
Mediokratie |
Nerve (2016) |
Mediokratie |
Vernetzt – Johnny Mnemonic (1995) |
Mediokratie |
The Congress (2013) |
Mediokratie |
You are wanted (2017) |
Mediokratie |
Black Mirror (2011) |
Mediokratie |
The Day After Tomorrow (2004) |
Super-Gau |
Contagion (2011) |
Super-Gau |
The Book of Eli (2010) |
Super-Gau |
Mad Max (1979, Reihe) |
Super-Gau |
Jericho – Der Anschlag (2006) |
Super-Gau |
V wie Vendetta (2005) |
Totalitarismus |
1984 (1984) |
Totalitarismus |
Equilibrium – Killer of Emotions (2002) |
Totalitarismus |
Die Tribute von Panem (2012, Reihe) |
Totalitarismus |
Person of Interest (2011) |
Totalitarismus |
Colony (2016) |
Totalitarismus |
Um den Kultivierungseffekt beim Rezipienten feststellen zu können, kam in unserer Studie ein Online-Fragebogen zum Einsatz. Der Kultivierungseffekt sollte dann als bestätigt angesehen werden, wenn die Vorstellungen und Ängste bezüglich der Zukunft vor allem von Vielsehern dystopischer Unterhaltungsmedien stärker den Inhalten aus dystopischen Filmen und Serien entsprachen als die Vorstellungen und Ängste der Wenigseher. Die Teilnehmenden der Online-Befragung sollten anfangs angeben, ob sie die aufgelisteten dystopischen Filme und Serien schon einmal oder mehrmals gesehen hatten. Dabei handelte es sich um die gleichen Unterhaltungsmedien wie in der Inhaltsanalyse. Darüber hinaus wurden die Teilnehmenden gefragt, wie oft sie dystopische Unterhaltungsmedien rezipieren, um sie in Viel- und Wenigseher zu kategorisieren. Teilnehmende, die dystopische Unterhaltungsmedien mehrmals pro Monat rezipierten und mindestens 50% der vorgeschlagenen Filme und Serien ein- oder mehrmals gesehen hatten, wurden als „Vielseher“ definiert.
Die insgesamt neun Kultivierungsfragen erster Ordnung bestanden aus der Beschreibung eines Zukunftsszenarios und vier Antwortvorgaben. Jeweils eine Antwort stammte dabei aus einem dystopischen Unterhaltungsmedium (Filmantwort) und eine weitere ließ sich als „wissenschaftliche Antwort“ verstehen, die auf Trendprognosen der Zukunft beruht (wiss. Antwort). [1] Die beiden übrigen Antworten wurden vom Team gestellt und haben weder einen wissenschaftlichen noch einen auf dystopischen Filmen oder Serien basierenden Hintergrund. Sie sollen sich nicht von den anderen Antworten abheben, sondern eine logische Kette mit den anderen Antworten bilden, um die vermutete große Diskrepanz zwischen Film- und wissenschaftlicher Antwort zu verschleiern. Einige Beispiele mögen das Vorgehen illustrieren.
Tab. 3: Auszug von Frage 3 (Kultivierung 1. Ordnung) aus dem Fragebogenkatalog.
3. Frage: Was schätzen Sie, wann wird sich die Erde um 5°C erwärmt haben? (Angstsetting: Super-Gau) |
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Item No. |
Item |
Hinweis Antwort |
1 |
In 5 Jahren |
Filmantwort |
2 |
In 25 Jahren |
Zufällig |
3 |
In 80 Jahren |
Wiss. Antwort |
4 |
Nie |
Zufällig |
Anmerkung: nominale Antwortmöglichkeit |
Die Frage 3 zählt zu einer der Kultivierungsfragen erster Ordnung, welche auf das Angstsetting Super-Gau abziehlt. Die Filmantwort A1 stammt aus dem Film Hell (2011). Darin wird vermittelt, dass sich die Erde in fünf Jahren um 5°C erwärmt haben wird. Die „wissenschaftliche“ Antwort basiert auf den Annahmen von Textor (o.J.). Er führt an, dass die Durchschnittstemperatur bis 2100 um 3 bis 6°C angestiegen sein wird. Somit lautet die wissenschaftliche Antwort A3: „in 80 Jahren“. Die Antworten A2 und A4 sind frei erfunden.
Tab. 4: Auszug von Frage 4 (Kultivierung 1. Ordnung) aus dem Fragebogenkatalog.
4. Frage: Durch die medizinischen Weiterentwicklungen wird es immer schwieriger, zwischen natürlich geborenen Menschen und Robotermenschen zu unterscheiden. Dies geschieht vermutlich… (Angstsetting: Mensch/Technik) |
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Item No. |
Item |
Hinweis Antwort |
1 |
In den nächsten 5 Jahren. |
Filmantwort |
2 |
In den nächsten 25 Jahren. |
Wiss. Antwort |
3 |
In den nächsten 80 Jahren. |
Zufällig |
4 |
Nie. |
Zufällig |
Anmerkung: nominale Antwortmöglichkeit |
Die Frage 4 gehört zu den Kultivierungsfragen erster Ordnung, welche ein Zukunftsszenario des Angstsettings Konkurrenz zwischen Mensch und Technik beschreiben. Die Filmantwort stammt aus dem idealtypischen Film Blade Runner (1982), der zeigt, dass es im Jahr 2019 schwierig sein wird, zwischen natürlich geborenen und künstlich hergestellten Menschen zu unterscheiden. Die Filmantwort A1 lautet somit „in den nächsten fünf Jahren.“. Die Zukunftsprognosen-Antwort basiert erneut auf den Aussagen von Textor (o.J.). Er argumentiert, dass erst in 20 bis 25 Jahren die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine derart schwierig wird. Bei dieser Frage sind die Antworten A3 und A4 frei erfunden.
Die Hypothese lautete, dass Vielseher häufiger diejenige Antwort auswählen würden, welche aus einem dystopischen Unterhaltungsmedium stammt. Wenigseher sollten dagegen häufiger die „wissenschaftliche“ oder eine der frei gewählten Antworten auswählen, da davon ausgegangen wurde, dass Wenigseher seltener mit den Darstellungen aus den dystopischen Unterhaltungsmedien konfrontiert und dementsprechend nicht von den fiktiven Darstellungen der Dystopien beeinflusst waren.
Um den Kultivierungseffekt zweiter Ordnung, die Zukunftsangst, abzufragen, beinhaltete der Fragebogen konkrete Zukunftsszenarien, die mit Hilfe der Angstsettings und den Metabotschaften dystopischer Unterhaltungsmedien für diese Studie erstellt wurden. In vier Frageblöcke aufgeteilt, wurden den Teilnehmenden jeweils nur zwei korrespondierende (1.A und 1.B sowie 2.A. und 2.B.) Fragen angezeigt, um die Länge des Fragebogens zu verkürzen und die Abbruchquote zu verringern. Die Frageblöcke beinhalteten jeweils ähnliche Aussagen, welche die fünf Angstsettings insgesamt in jedem Block dreimal repräsentieren. Insgesamt hatten die Teilnehmenden jeweils 15 Fragen zu ihrer Zukunftseinstellung, der vermuteten Zukunftsangst, zu beantworten.
Tab. 5: Auszug von Frage 12.2. (Kultivierung 2. Ordnung) aus dem Fragebogenkatalog.
12.2 Frage: Wie viel Angst haben Sie davor, dass in Zukunft… |
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Block 2.A |
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Item No. |
Item |
Hinweis auf Metabotschaft und AS |
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1 |
… ein Atomkrieg ausbrechen wird, durch welchen eine neue Weltordnung entsteht. |
MB11 / Super-Gau |
|
2 |
… Menschen auf Raumstationen auswandern müssen. |
MB1 / Super-Gau |
|
3 |
…durch eine Lebensmittelknappheit künstliche Nahrungsmittel hergestellt werden müssen und es keine natürlichen Lebensmittel mehr geben wird. |
MB10 /Super-Gau |
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4 |
… alles gleich aussehen wird (öffentliche Gebäude, Privatwohnungen, Kleidung) und man keine Möglichkeit mehr hat, seine Persönlichkeit auszudrücken. |
MB3 / Totalitarismus |
|
5 |
… die Gesetzgeber den Bürgern verbieten werden, sich auf natürliche Weise fortzupflanzen. |
MB4 / Totalitarismus |
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6 |
… in Deutschland ein Staat entstehen wird, der alle Religionen verbietet. |
MB2 / Totalitarismus |
|
7 |
…in Deutschland Armenviertel entstehen werden, in denen Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser verfallen. |
MB6 / Gewalt |
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8 |
… nach einem Krieg oder einer Naturkatastrophe Menschen sich zu Banden zusammenschließen und gegeneinander kämpfen werden. |
MB7 / Gewalt |
|
Anmerkung: (Skala, 9 Stufig, Gar keine Angst bis sehr große Angst; in der Auswertung gibt es eine 5-stufige Skala, gar keine Angst bis wenig Angst, eher keine Angst, neutral, eher Angst, sehr viel Angst) |
Die Teilnehmenden sollten auf einer fünfstufigen Skala einschätzen, wie viel Angst sie jeweils vor dem Eintreten des jeweiligen Szenarios hatten. Dabei wurde angenommen, dass Vielseher mehr Angst vor dem Eintreten der Szenarien haben würden als Wenig- und Normalseher.
Zusätzlich wurden zwei Frageblöcke konzipiert, deren Items auf den zwei Über-Metabotschaften der Angstsettings basierten. Da sich die Über-Metabotschaften in jedem Angstsetting zu ähnlich großen Teilen finden ließen, wurden die Über-Metabotschaften durch jeweils fünf verschiedene Items abgefragt, welche die Angstsettings repräsentierten. Die Frage lautete abermals „Wie viel Angst haben Sie davor, dass in Zukunft…“ und die Teilnehmenden konnten anhand einer fünftstufigen Skala angeben, wie groß ihre Angst vor den jeweiligen Szenarien war. Ein Beispiel-Item zur Über-MB-A „Gewaltbereitschaft und Toleranz gegenüber Gewalt steigt extrem an“ im Rahmen des Angstsettings Totalitarismus war „… die Schwachen der Gesellschaft keine Unterstützung mehr von Staat und Gesellschaft erhalten und ihrem Schicksal überlassen werden.“
In den Kultivierungsfragen dritter Ordnung wurde nach dem zukunftsgerichteten Verhalten der Teilnehmenden gefragt und somit untersucht, ob die Befragten damals präventive Maßnahmen ergreifen würden, um sich vor möglichen dystopischen Szenarien zu schützen. Zu jedem Angstsetting wurden zwei Items abgefragt.
Tab. 6: Auszug von Frage 14 (Kultivierung 3. Ordnung) aus dem Fragebogenkatalog.
14. Frage: Auf dieser Seite möchten wir Ihre Meinung zu verschiedenen Themen wissen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass diese Fragen zum Teil sehr persönlich sind. Bitte versuchen Sie trotzdem, so ehrlich wie möglich zu antworten. |
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Item No. |
Item |
Hinweis auf Metabotschaft und AS |
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1 |
Haben Sie bereits oder planen Sie an einem Survival Camp teilzunehmen, um zu lernen, wie man in der Wildnis überleben kann? |
Super-Gau |
|
2 |
Verwenden Sie verschiedene E-Mail Konten, um nicht alle Ihre Daten an einen Anbieter weiterzugeben? |
Mediokratie |
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3 |
Arbeiten Sie kontinuierlich an der Verbesserung Ihres sozialen Status, um zu den Bessergestellten zu gehören? |
Totalitarismus |
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4 |
Versuchen Sie, gezielt Beziehungen zu Menschen zu knüpfen, die in der Gesellschaft einflussreicher sind als Sie? |
Totalitarismus |
|
5 |
Berücksichtigen Sie bei Ihrer Wohnungssuche besonders sichere Stadtteile? |
Gewalt |
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6 |
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, sich eine Waffe zuzulegen, um sich im Notfall selbst schützen zu können? |
Gewalt |
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7 |
Haben Sie Ihre Laptop- oder Smartphone-Kamera abgeklebt? |
Mediokratie |
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8 |
Nehmen Sie regelmäßig an beruflichen Fortbildungen teil, um mit dem technischen Fortschritt mithalten zu können? |
Mensch/Technik |
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9 |
Kaufen Sie Lebensmittel auf Vorrat, um auf den Notfall vorbereitet zu sein? |
Super-Gau |
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10 |
Versuchen Sie, bewusst neue technische Geräte mit künstlicher Intelligenz zu vermeiden, um unabhängig zu bleiben? |
Mensch/Technik |
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Anmerkung: nominale Skalierung (Ja/Nein/keine Angabe) |
Zudem wurden intervenierende Variablen wie Rezeptionsvariablen, Rezipientenvariablen und die Rezipientenumwelt sowie soziodemographische Daten erhoben. Die Gesamtheit der intervenierenden Variablen können Abb. 1 entnommen werden. Die Rezipientenvariable „Persönlichkeit“ wurde durch das Fünf-Faktoren-Modell, die „Big Five“, abgefragt (Fassung 1, semantisches Differenzial, 7 Dimensionen; Rössler 2011). An dieser Stelle sollen nur intervenierende Variablen besprochen werden, deren Relevanz für die Auswertung der Ergebnisse dieser Studie nachgewiesen werden konnten. Diese sind, ohne dem Ergebnisteil vorzugreifen, die Rezipientenvariable „Interpersonale Kommunikation“ und die Variable der Rezipientenumwelt „Persönliche Erfahrung“. Interpersonale Kommunikation wurde in den meisten Kultivierungsstudien durch die Weitergabe von mediengeprägten Vorstellungen definiert (Lücke 2007). Es wurde demnach angenommen, dass der Kultivierungseffekt nicht lediglich auf direktem Weg durch das Unterhaltungsmedium hervorgerufen wird. Gewisse kultivierte Vorstellungen und Meinungen können ebenfalls durch persönliche Gespräche an eine Person vermittelt werden. Die intervenierende Variable „Persönliche Erfahrungen“ definierte sich als die Wahrnehmung über ein Ereignis, die sich die Teilnehmenden im Laufe ihres Lebens gebildet hatten. Diese Erfahrungen haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Wahrnehmung und Einstellung einer Person und somit auf den Kultivierungsprozess. Es kann beispielsweise davon ausgegangen werden, dass bei Menschen, die persönliche Erfahrungen mit Gewalt gemacht haben, der Kultivierungseffekt verstärkt wird, wenn sie gewaltvolle Inhalte rezipieren (Hawkins & Pingree 1987).
Um ausreichend Vielseher bei der Befragung zu erreichen, wurde der Online-Fragebogen gezielt in Internetforen und Facebook-Gruppen gestreut, die sich mit dem Genre Dystopie oder Online-Streaming-Portalen beschäftigen. Veröffentlicht wurde der Fragebogen Mitte März 2018 und nach einer circa vierwöchigen Feldphase wurden die Daten mittels des Statistikprogramms SPSS ausgewertet. Für die Studie lagen 821 gültige ausgefüllte Fragebögen vor. 358 männliche und 451 weibliche Teilnehmende füllten sie aus. Die Altersgruppe 20 bis 35 Jahre war mit einer Anzahl von 443 Teilnehmenden besonders stark vertreten. Weiterhin liegen 161 Teilnehmende in der Altersgruppe ab 36 bis 45 Jahren. 355 der Teilnehmenden haben die allgemeine Hochschulreife, die Fachhochschulreife oder einen erweiterten Oberschulabschluss, 307 Teilnehmer haben einen Hochschulabschluss und 144 Teilnehmende haben einen Hauptschul- oder Realschulabschluss.
Um die Erkenntnisse aus dem Fragebogen zu erweitern, wurden Leitfaden-interviews mit vier Teilnehmenden der Online-Befragung durchgeführt. Anhand aller Antworten des Fragebogens wurden Extremgruppen geclustert und jeweils ein Vertreter jeder Extremgruppe befragt.
Abb. 2: Profile der Extremgruppen und Leitfadenzuteilung. (eigene Darstellung)
Die Leitfäden für die Interviews enthielten Fragen zur Nutzungssituation, Mediennutzung, eigenen Einschätzung des Kultivierungseffekts sowie teilnehmerspezifische Fragen zur sozialen Prägung, interpersonalen Kommunikation und Binge-Watching-Verhalten der Befragten. Binge-Watching beschreibt das Phänomen des gesteigerten Konsums von Unterhaltungsmedien, wenn zwei bis sechs Episoden der gleichen Serie in einer Sitzung geschaut werden (Netflix Press Releases 2013). Die Fragen basierten auf den Fragebogendaten des jeweiligen Teilnehmenden und wurden nach eingeholter Zustimmung analysiert.
Der Online-Fragebogen ergab für die Aussage, dass „ein Krieg oder eine Naturkatastrophe dazu führen wird, dass Menschen, um ihr eigenes Überleben zu sichern, sämtliche Moralvorstellungen missachten.” einen Mittelwert von 3,6 (n=821 auf einer Skala von 1 bis 5, wobei 5 „sehr große Angst” bedeutet) und löste in der Befragung die größte Angst bei den Befragten aus. Dieses Ergebnis ist unabhängig vom Nutzungsgrad dystopischer Unterhaltungsmedien. Die geringste Angst hatten die Befragten vor dem allgemeinen Verlust von Individualität, eine Aussage, deren Mittelwert bei 2,3 lag.
Abb. 3: Mittelwerte der Kultivierung 2. Ordnung aufgeteilt nach Geschlecht (männlich n=358, weiblich n= 451, gesamt n= 814) 1=gar keine Angst, 5=sehr große Angst. Blau = „ein Krieg oder eine Naturkatastrophe dazu führen wird, dass Menschen, um ihr eigenes Überleben zu sichern, sämtliche Moralvorstellungen missachten.”; Grau= Verlust von Individualität; Schwarz = Mittelwert der Angst. (eigene Darstellung)
Außerdem hatten Frauen im Allgemeinen mehr Angst vor dystopischen Szenarien als Männer. Bei ihnen standen besonders Themen wie Genmanipulation oder die Züchtung menschlicher Klone im Vordergrund, während Männer sich stärker vor einer möglichen Überbevölkerung der Erde fürchteten.
Aus kultivierungstheoretischer Sicht kann festgehalten werden, dass deutliche Unterschiede zwischen den Zukunftsängsten von Viel-, Normal- und Wenigsehern festgestellt werden konnten (Kultivierungseffekt zweiter Ordnung). Im Vergleich der Mittelwerte der drei Gruppen Viel-, Normal- und Wenigseher (s. Abb. 4) zeigte sich, dass Vielseher durchschnittlich am meisten Angst vor den dargestellten Zukunftsszenarien hatten. Wenigseher hatten dagegen im Durchschnitt deutlich weniger Angst vor den im Fragebogen bereitgestellten Szenarien. Interessant hierbei ist, dass die Wenigseher im Unterschied zu den anderen Gruppen am wenigsten Angst davor hatten, dass Menschen auf Raumstationen auswandern müssten (M=1,55). Dagegen bereitete den Vielsehern, anders als bei allen anderen Gruppen, das Szenario der Überbevölkerung am meisten Angst (M=3,77; n=64). [2]
Abb. 4: Mittelwerte der Kultivierung 2. Ordnung aufgeteilt nach Sehergruppen (Vielseher n=121, Normalseher n=588, Wenigseher n=112, Gesamt n=821). 1=gar keine Angst, 5=sehr große Angst. Blau = „ein Krieg oder eine Naturkatastrophe dazu führen wird, dass Menschen, um ihr eigenes Überleben zu sichern, sämtliche Moralvorstellungen missachten.”; Grau= Verlust von Individualität; Schwarz = Mittelwert der Angst. (eigene Darstellung)
Vielseher hatten im Durchschnitt am meisten Angst vor dystopischen Szenarien. Ihr Mittelwert der Angst lag bei 3,0, während der Angst-Mittelwert der Wenigseher 2,7 betrug.
Auch bei der Kultivierung dritter Ordnung waren Ergebnisse zu verzeichnen, welche die Hypothese dieser Studie unterstützen. Beispielsweise beschäftigten sich deutlich mehr Vielseher mit dem Erwerb einer Waffe, um sich im Notfall schützen zu können, oder kauften Lebensmittel auf Vorrat ein.
Abb. 5: Ergebnis-Auszug der Kultivierung dritter Ordnung. (eigene Darstellung)
Hinsichtlich der Persönlichkeit der Rezipienten, welche durch die Big Five abgefragt wurde, ließen sich jedoch keine großen Unterschiede zwischen den Viel-, Normal- und Wenigsehern erkennen.
Abb. 6: Polaritätsprofil der Big Five (plus Sensation Seeking) unterteilt nach Mittelwerten der Gruppen Viel-, Normal- und Wenigseher. (eigene Darstellung)
Somit konnte ausgeschlossen werden, dass Vielseher generell ängstlicher sind als Wenig- und Normalseher und daher mehr Angst vor den abgefragten Szenarien haben.
Die Ergebnisse der Studie belegten demnach für das Genre Dystopie Kultivierungseffekte zweiter und dritter Ordnung. Die Auswertungen wiesen leider geringe statistische Effekte auf. Die statistische Differenz der Angst von Vielsehern und der Angst von Wenigsehern beträgt 0,3. Jedoch wird vermutet, dass aufgrund des Langzeiteffekts der Kultivierung der Effekt dennoch vorhanden sein könnte. Kultivierung ist ein Effekt, der durch langfristige Nutzung von bestimmten Medien entstehen kann. Dementsprechend ist z.B. die genannte statistische Differenz von großer Bedeutung.
Für die Kultivierung erster Ordnung ergaben sich keine kultivierungsbestätigenden Ergebnisse. Lediglich zwei Werte wiesen eine statistische Signifikanz auf. Die Werte des einen signifikanten Items („In den Diktaturen der Zukunft, wird es am wahrscheinlichsten dazu kommen, dass alle Bürger gezwungen werden…“; p=0,031) lieferten keinen Hinweis zur Kultivierung, da der Großteil der Wenig- als auch der Vielseher die wissenschaftliche Antwort ausgewählt hatte („...sich mit der Staatskultur zu identifizieren, da sie sonst aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden“). Weder Viel- noch Wenigseher gaben die Filmantwort an („...einheitliche Uniformen zu tragen“). Bei der Frage „Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt in Deutschland im Allgemeinen steigen wird?“; p=0,003) wählten Vielseher mit 24% (n=121) häufiger die Filmantwort als Wenigseher mit 10,9% (n=110). Jedoch wird hier von einem Zufallseffekt ausgegangen, da in der Summe der Fragen Vielseher sogar häufiger zur wissenschaftlichen Antwort tendierten als Wenigseher. Folglich lassen sich keine Aussagen zur Veränderung der Zukunftswahrnehmung in Abhängigkeit zur Dystopienutzung treffen. Dies ist möglicherweise auf die Schwierigkeit der „future real world indicators“ als Vergleichsdaten zurückzuführen, da diese genauso hypothetisch sind, wie die Zukunftsentwürfe der Unterhaltungsmedien.
Bei Untersuchung der intervenierenden Variablen mittels einer Kovarianzanalyse ergab sich, dass interpersonale Kommunikation und die persönlichen Erfahrungen der Rezipienten den Kultivierungseffekt beeinflussen können. Sie schwächen den Einfluss dystopischer Unterhaltungsmedien auf die Zukunftsvorstellungen. Es konnte jedoch nur eine niedrige statistische Korrelation festgestellt werden.
Abb. 7: Durchschnittliche Beeinflussung eines möglichen Kultivierungseffekts durch die interpersonale Kommunikation und persönliche Erfahrung. Mit durchschnittlichem partiellen Eta-Quadrat und durchschnittlichen Signifikanzwerten. (eigene Darstellung)
Zusammenfassend verdeutlichen die Ergebnisse, dass die Theorie der Kultivierung in Bezug auf Zukunftseinstellungen und zukunftsgerichtetes Verhalten angewendet werden kann. Es konnte ein Kultivierungseffekt zweiter und dritter Ordnung bestätigt werden. Ein Kultivierungseffekt erster Ordnung konnte hingegen nicht festgestellt werden. Die Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten und Häufigkeiten von zukünftigen Geschehnissen wird demnach nicht durch den Konsum dystopischer Filme und Serien beeinflusst. Die Hypothese, dass die Zukunftsvorstellungen der Vielseher den Themen dystopischer Unterhaltungsmedien ähnlicher sind als die der Wenigseher, konnte bestätigt werden. Die Kultivierung von Zukunftsängsten durch dystopische Unterhaltungsmedien ist möglich.
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neophobia: Projektgruppe der Universität Erfurt bestehend aus den Studierenden Antonia Fischer, Sarah Herbst, Romina Münchow, Valerie Stopp, Vanessa Stork, Danielle Weisheit und Natalie Wendt.
Kontakt über: neophobia.jimdofree.com
[1] An dieser Stelle wurde auf die Ausführungen von Textor (o.J.) zurückgegriffen. Er hat neophobia freundlicherweise seine Prognosesammlung für die Durchführung dieser Studie zur Verfügung gestellt.
[2] Der Vergleichbarkeit halber wurde in dem dazugehörigen Diagramm (s. Abb. 3) dennoch die von Sehergruppen unabhängig größte und kleinste Angst abgebildet.
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Empfohlene Zitierweise ¶
Fischer, A., Herbst, S., Münchow, R., Stopp, V., Stork, V., Weisheit, D., Wendt, N. (2019). Kultivierung von Zukunftsängsten. Zeitschrift für Zukunftsforschung, 1, None. (urn:nbn:de:0009-32-49057)
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