Projektberichte
Die Zukunftsforschung (ZF) ist ein dynamisches Forschungsfeld, das sich noch immer im Prozess der Institutionalisierung als wissenschaftliche Disziplin befindet. Eine solche stellt nach Stichweh (2013) als „[primäre] Einheit interner Differenzierung der Wissenschaft“ (Stichweh 2013, S. 17) eine Form „sozialer Institutionalisierung eines mit vergleichsweise unklaren Grenzziehungen verlaufenden Prozesses kognitiver Differenzierung der Wissenschaft“ (ebd., Hervorh. i. Orig.) dar und lässt sich in erster Linie entlang von fünf grundlegenden Merkmalen charakterisieren. Diese bestehen in (1) einer spezifischen scientific community, (2) einem Korpus aus kodifiziertem, allgemein akzeptiertem und prinzipiell lehrbarem wissenschaftlichen Wissen, (3) „eine[r] Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fragestellungen“ (ebd.), (4) paradigmatischen Problemlösungen und entsprechenden Forschungsmethoden sowie (5) „eine[r] disziplinenspezifische[n] Karrierestruktur und institutionalisierte[n] Sozialisationsprozesse[n]“ (ebd.), die dazu dienen, wissenschaftlichen Nachwuchs in der Disziplin heranzubilden.
Innerhalb der letzten zehn Jahre haben sich einige Prozesse vollzogen, die in diesem Sinne zu einer Konsolidierung der Zukunftsforschung beigetragen haben, wie etwa die Gründung des Netzwerks Zukunftsforschung (NZF) und die Etablierung einer deutschsprachigen Fachzeitschrift (Zeitschrift für Zukunftsforschung – ZfZ), welche beide zur Herausbildung und Stabilisierung einer wissenschaftlichen Fachgemeinschaft beitragen (Merkmal 1), oder auch die Einrichtung des Masterstudiengangs Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin und damit einem Grundstein einer zukunftsforschungsspezifischen Karrierestruktur (Merkmal 5). Zwar sind dies erste und wichtige Schritte, für eine akademische und gesellschaftsweite Anerkennung der Zukunftsforschung als (relevante) wissenschaftliche Disziplin. Jedoch sind auch weiterhin konkrete Aktivitäten der Akteure im Bereich der Zukunftsforschung vonnöten, um die Zukunftsforschung mittelfristig als akademische Disziplin zu etablieren. Um Prozesse in diesem Sinne zielgerichtet (weiter-) entwickeln und vorantreiben zu können, ist vordergründig zweierlei notwendig: Zum einen braucht es den Blick zurück, um einen Überblick darüber zu gewinnen, wie sich die Zukunftsforschung gegenwärtig darstellt und wie effektiv bisherige Aktivitäten zu einer Weiterentwicklung der Zukunftsforschung in Richtung einer wissenschaftlichen Disziplin beigetragen haben. Zum anderen ist auch der Blick nach vorne notwendig, bspw. um Herausforderungen zu identifizieren, die für eine Weiterentwicklung der Zukunftsforschung gemeistert werden müssen. Erst diese Perspektive erlaubt es, gezielt neue Aktivitäten zu entwickeln und bereits begonnene Prozesse weiterführen zu können, die es ermöglichen, diese Herausforderungen zu bearbeiten.
Mit der hier vorgestellten Befragung sollte erhoben werden, wie die Akteure des Forschungsfeldes den gegenwärtigen Status der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum einschätzen, wie sie die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre bewerten und wo sie die wichtigsten Bedarfe für die Weiterentwicklung der Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin sehen. Die damit generierten Ergebnisse tragen in diesem Sinn zu den beiden notwendigen Perspektiven bei und bieten den Akteuren der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum eine Reflexionsfolie, vor der die bisherige Entwicklung der Zukunftsforschung reflektiert und neue/weitere Aktivitäten auf den Weg gebracht werden können, die einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Zukunftsforschung zu einer anerkannten akademischen Disziplin leisten.
Die Befragung wurde als Online-Erhebung durchgeführt, die neben einer Selbsteinordnung der TeilnehmerInnen im Feld der Zukunftsforschung verschiedene Themenbereiche zum gegenwärtigen Status der Zukunftsforschung sowie deren Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren umfassten. Darüber hinaus beinhaltete die Befragung zwei kurze Blöcke zum Netzwerk Zukunftsforschung und zur Zeitschrift für Zukunftsforschung mit deren Hilfe darauf geschlossen werden kann, inwiefern diese als Effekte vergangener Institutionalisierungsprozesse in der Community selbst angekommen sind.
Die TeilnehmerInnen der Befragung wurden zum größten Teil über eine umfangreiche Internetrecherche identifiziert und via E-Mail angesprochen. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, nicht nur akademisch verankerte ZukunftsforscherInnen anzusprechen, sondern auch TeilnehmerInnen aus privatwirtschaftlichen Forschungsinstituten und Unternehmen zu rekrutieren. Bereinigt um die Mitglieder des Netzwerks Zukunftsforschung, die über den Verteiler des Netzwerks angesprochen wurden, umfasste die Gruppe der direkt Angesprochenen 191 Personen. Dazu kommen die etwa 70 Mitglieder des Netzwerks Zukunftsforschung. Von diesen etwa 260 angeschriebenen Personen beteiligten sich 87 an der Befragung, von denen wiederum 58 den Fragebogen vollständig ausfüllten. Sechs der übrigen TeilnehmerInnen beantworteten keine der Fragen und weitere sieben beendeten ihre Teilnahme nach Angabe der Selbsteinordnung und zukunftsforschungsspezifischer Publikationen. Die restlichen 16 TeilnehmerInnen schieden an unterschiedlichen Stellen im Fragebogen aus. Daraus ergibt sich eine Reaktionsquote von 33,5 % und – bezogen auf vollständige Antworten – eine Ausschöpfungsquote von 22 %. Nicht vollständig ausgefüllte Fragebögen wurden in der Auswertung bis zu ihrem jeweiligen Abbruchpunkt berücksichtigt.
Eine Erhebung des institutionellen Hintergrunds der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Befragung erfolgte nicht; stattdessen wurden die befragten aufgefordert, sich über die Art ihrer Beziehung zum Feld der Zukunftsforschung zu positionieren. Die größte Gruppe der Teilnehmenden bezeichnet sich selbst als „ZukunftsforscherInnen“ (39 Personen bzw. 45 % [1]) und hat auch bereits explizit zukunftsforscherisch publiziert (33), gefolgt von „anderweitigen FachexpertInnen“ mit 34 Nennungen, von denen 19 eine entsprechende Publikationstätigkeit angeben. Jeweils eine Person aus diesen beiden Gruppen macht keine Angabe zu bisherigen Publikationen im Bereich der Zukunftsforschung. Darüber hinaus haben drei „Studierende bzw. in Ausbildung befindliche ZukunftsforscherInnen“ an der Befragung teilgenommen sowie fünf „NutzerInnen der Ergebnisse von Zukunftsforschung“, von denen zwei bereits zukunftsforschungs-spezifisch publiziert haben. Insgesamt zeigen sich in der Erhebung nur sehr geringe Unterschiede zwischen den Gruppen, sodass diese Positionierung der Teilnehmenden im Folgenden nur vereinzelt an denjenigen Stellen aufgegriffen wird, an denen sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen zeigen.
Zunächst wurden die TeilnehmerInnen der Befragung gebeten, eine Einschätzung dahingehend abzugeben, wie es um die Wahrnehmung der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum bestellt sei. Auf einer fünfstufigen Skala (im Folgenden mit Werten von -2 bis 2 wiedergegeben) sollten sie anhand einer an der Methode des semantischen Differentials angelehnten Merkmalsbatterie (vgl. Merten 1995, S. 247ff.) einordnen, wie „positiv“, „seriös“, „wissenschaftlich“, „glaubwürdig“, „zuverlässig“ und „vertrauenswürdig“ die Zukunftsforschung ihrer Meinung nach angesehen wird (Abb. 1).
Abb. 1: Image der Zukunftsforschung [2]
Im Mittel erreichen dabei ein allgemein positives Image (0,48) sowie die Seriosität (0,12) der Zukunftsforschung die höchsten Werte, und jeweils keine TeilnehmerIn attestiert dem Image bezüglich dieser beiden Größen die jeweilige Minimalausprägung (also „negativ“ bzw. „unseriös“). Leicht ins Positive tendieren die Befragten außerdem, wenn es um die Wahrnehmung der Wissenschaftlichkeit (0,04) sowie der Glaubwürdigkeit (0,08) der Zukunftsforschung geht. Als eher negativ schätzen die Befragten hingegen deren wahrgenommene Zuverlässigkeit (-0,24) und Vertrauenswürdigkeit (-0,12) ein. Die geringsten Werte (und keine Nennung der höchsten Kategorie) erreicht die Einschätzung einer ausreichenden Wahrnehmung der Zukunftsforschung in der Öffentlichkeit (-0,9), trotzdem entwickelt sich das Image der Zukunftsforschung nach Ansicht der Befragten insgesamt recht deutlich in positiver Richtung (0,67).
Der nächste Teil der Erhebung richtete sich darauf, die wichtigsten Defizite der Zukunftsforschung im Vergleich der Jahre 2007 und 2017 zu identifizieren, um erste Hinweise auf Entwicklungen der Zukunftsforschung zu erhalten. Die Befragten wurden gebeten, die aus ihrer Sicht bedeutendsten Defizitbereiche aus einem Set von sieben vorgegebenen Möglichkeiten jeweils für das Jahr 2017 als auch in der Rückschau für das Jahr 2007 auszuwählen (Abb. 2) und hatten darüber hinaus die Möglichkeit, weitere Probleme zu formulieren, die ihrer Ansicht nach Hürden für die Zukunftsforschung darstellen.
Dazu kann zunächst zweierlei festgehalten werden: Die Rangfolge der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten schätzen die Befragten für die gegenwärtige Situation gegenüber der Vergangenheit nahezu unverändert ein. Lediglich eine „unzureichende Abgrenzung des Forschungsfeldes“ sehen sie für die Gegenwart als deutlich weniger relevantes Defizit ein, als sie dies für die Vergangenheit tun: Während die unzureichende Abgrenzung im Rückblick auf 2007 mit einer Zustimmung von 61 % den dritten Rang einnimmt, erachten sie für 2017 nur noch 33,5 % der TeilnehmerInnen als bedeutenden Defizitbereich, was den sechsten Rang bedeutet. Auch die Zustimmungsraten der einzelnen Defizitbereiche unterscheiden sich bei den meisten Items kaum zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern bewegen sich in einem Bereich von -1 bis -2,5 Prozentpunkten. Auffällig sind hier neben der „Abgrenzung des Forschungsfeldes“ noch die „unzureichende Bekanntheit bzw. Wahrnehmung der Ergebnisse von Zukunftsforschung“, die für die Vergangenheit von 65,5 % der Befragten als wichtiges Defizit diagnostiziert wird – für 2017 nur noch von 54 % – sowie die „unzureichende Nutzung der Ergebnisse von Zukunftsforschung“, was als einziges Problem für 2017 eine höhere Zustimmung (52,5 %) erfährt als für 2007 (47 %).
Abb. 2: Defizite der Zukunftsforschung 2007 und 2017 [3]
Als größtes Defizit identifizieren die TeilnehmerInnen sowohl für 2007 als auch für 2017 eine „unzureichende Differenzierung von seriösen und unseriösen Ergebnissen durch die Öffentlichkeit“ (75 % bzw. 73 %), gefolgt von der „unzureichenden Bekanntheit bzw. Wahrnehmung der Ergebnisse von Zukunftsforschung“. Die weiteren Ränge (4–6 für 2007 bzw. 3–5 für 2017) belegen die unzureichende Nutzung der Ergebnisse, die „unzureichende Differenzierung von seriösen und unseriösen Ergebnissen durch die Politik“ (44 % bzw. 41,5 %) und durch die Wirtschaft (36 % bzw. 35 %). Als geringstes Problem sehen die TeilnehmerInnen der Befragung einen Qualitätsmangel auf Ebene der Ergebnisse der Zukunftsforschung, was von insgesamt jeweils weniger als einem Drittel als wichtiges Defizit genannt wird (31,5 % bzw. 30 %). Allerdings ist dies einer der wenigen Punkte, an dem sich in der Befragung sichtbare Unterschiede zwischen den TeilnehmerInnen-Gruppen beobachten lassen: Während die Problematik mangelnder Ergebnisqualität aus Sicht der ZukunftsforscherInnen deutlich zurückgegangen ist (26,5 % zu 14,5 %), stellt sich diese aus Sicht der anderweitigen FachexpertInnen für das Jahr 2017 zu einem signifikant größeren Teil als wichtiges Defizit dar (41,5 %) als für 2007 (23,5 %). [4]
Auch die offenen Antworten zu den wichtigsten Defiziten weisen für 2017 gegenüber 2007 keine auffälligen qualitativen Unterschiede auf und beziehen sich für beide Jahre hauptsächlich auf einen Mangel an akademischer Verankerung der Zukunftsforschung (verbunden mit einer zu geringen öffentlichen Förderung und Anerkennung durch die etablierte Wissenschaft), Schwierigkeiten bei der Vermarktung und Vermittlung der Ergebnisse und Kompetenzen der Zukunftsforschung sowie einer damit zusammenhängenden mangelhaften strategischen Positionierung, einem falschen Erwartungsmanagement und Unsicherheiten bei der Beurteilung von Ergebnissen. Ein konkretes Problem, das der Zukunftsforschung in diesem Zusammenhang attestiert wird, ist eine „nicht ausreichend[e] Abgrenzung zur Trendforschung“, der es besser gelinge, ihre Ergebnisse in lebensweltliche Kontexte einzubetten und die Perspektive der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Zukunft in der externen Wahrnehmung präge. Ebenso wird das Problem der Wissenschaftlichkeit der Zukunftsforschung angesprochen und beispielsweise angemerkt, die „Zukunftsforschung [könne] a priori keine Wissenschaft sein, sich allerdings wissenschaftlicher Methoden bedienen. Es werden Hypothesen gebildet, die ex post bewertet werden – zu einem Zeitpunkt, zu dem die Hypothese keinen Erkenntnisgewinn darstellt.“ Auch das attestierte Defizit einer „nur rudimentäre[n] oder zu zerstreuten ‚reinen‘ Zukunftsforschung (im Unterschied zu ‚angewandter‘ Zukunftsforschung)“ verweist auf einen solchen Mangel wissenschaftlicher Fundierung.
Nachdem mit der Identifikation der wichtigsten Defizite in Vergangenheit und Gegenwart bereits erste Hinweise auf die Entwicklung der Zukunftsforschung über den Zeitraum des vergangenen Jahrzehnts gewonnen werden konnten, wurde diese Thematik über eine Einschätzung unterschiedlicher Entwicklungsrichtungen in der Erhebung noch einmal vertieft. Dazu sollten die TeilnehmerInnen die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre in Richtung (1) zunehmender Bekanntheit, (2) wachsender Nützlichkeit, (3) verbesserter Genauigkeit, (4) zunehmender Nachvollziehbarkeit, (5) wachsender Vertrauenswürdigkeit, (6) eines Gewinns an Zuverlässigkeit, (7) verbesserter Klarheit und (8) wachsender Wissenschaftlichkeit auf einer Skala von „überhaupt nicht“ (0) über „kaum“ und „deutlich“ bis hin zu „stark“ (3) bewerten.
Ebenso wie die dem Abschnitt 2.4 (Behebung der Defizite) zugrunde liegenden Daten wurden die Einschätzungen zu den Entwicklungen der letzten zehn Jahre mit Hilfe Likert- und damit ordinal skalierter Items erhoben; jedoch wurde bei Formulierung und Darstellung der Antwortmöglichkeiten darauf geachtet, dass diese als quasi-metrisch verstanden werden können, um sie einem mittelwertbasierten Vergleich zugänglich zu machen (vgl. Baur 2011). Die dargestellten Werte sollten daher in erster Linie als Tendenzen aufzeigend und in Relation zu den weiteren im jeweiligen Frageblock erhobenen Items verstanden werden.
Eher deutliche Entwicklungen sehen die TeilnehmerInnen der Befragung hier in Richtung Wissenschaftlichkeit (1,66), Bekanntheit (1,58) sowie Nützlichkeit (1,55), wohingegen den Bereichen der Zuverlässigkeit und Genauigkeit nur kaum wahrnehmbare Verbesserungen (jeweils 1,19) attestiert werden. Fortschritte, die die Nachvollziehbarkeit (1,49), die Vertrauenswürdigkeit (1,36) und die Klarheit (1,33) betreffen, liegen den Einschätzungen nach dazwischen. Insgesamt bestätigen diese Einordnungen auch die in Abschnitt 2.1 dargestellte Einschätzung der Entwicklung der Zukunftsforschung insgesamt, die als „eher positiv“ bewertet wird.
Als wichtigste Treiber dieser positiven Entwicklungen identifizieren die TeilnehmerInnen der Befragung das „Entstehen von Ausbildungsangeboten im Bereich der Zukunftsforschung“ (1,96) und die Durchführung der BMBF-Foresight-Prozesse (1,94), die beide auf eine zunehmende Institutionalisierung von Zukunftsforschung durch öffentliche Träger verweisen. Auch die Etablierung von Zukunftsforschung für und in Unternehmen (1,83) sowie die Entstehung zukunftsforschungsbezogener Netzwerke (1,88) und einer wissenschaftlichen Fachcommunity (1,82) haben nach Einschätzung der Befragten die Entwicklung der Zukunftsforschung in den vergangenen zehn Jahren wahrnehmbar positiv beeinflusst. Vergleichsweise etwas geringere Effekte schreiben die Befragten der Entstehung von Fachzeitschriften (1,54) und einer intensiveren öffentlichen Wahrnehmung (1,34) zu (siehe Abb. 3). Die Betonung der Institutionalisierung von Zukunftsforschung durch staatliche sowie privatwirtschaftliche Akteure als relevanten Treibern für die Weiterentwicklung der Zukunftsforschung spiegelt sich auch in den Freitextkommentaren wider, die die „Stärkung der Kompetenzen und Kapazitäten der strategischen Vorausschau in den Ministerien“ sowie die „gute Arbeit bei diversen Auftraggebern“ als wichtige Aspekte thematisieren.
Abb. 3: Positive Wirkungen auf die Entwicklung der Zukunftsforschung [5]
Auf der anderen Seite stehen Faktoren, die eine positive Entwicklung der Zukunftsforschung hemmen oder sogar in eine eher negative Richtung deuten (Abb. 4). Wie bereits bei den positiven Wirkungen liegen auch die mittleren Einschätzungen nachteiliger Wirkungen relativ eng beieinander. Der „Druck, Ergebnisse zu liefern, die die Möglichkeiten der Zukunftsforschung überschreiten“ steht den Befragten zufolge mit einem Mittelwert von 1,93 an erster Stelle. Eine ähnlich nachteilige Wirkung auf die Entwicklung der Zukunftsforschung wird noch der „mangelnden Wahrnehmung der Ergebnisse“ (1,82) zugeschrieben, womit die beiden wichtigsten Hemmnisse in einer Linie mit den als relevant eingestuften Defizitbereichen stehen. Eher spürbare nachteilige Wirkungen ergeben sich laut der Erhebung allerdings auch aus der „Präsentation eher oberflächlicher Analysen“ (1,77), und eines Mangels an Seriosität zum einen des Auftretens von Zukunftsforschern (1,61) sowie zum anderen der publizierten Ergebnisse (1,54). Weniger stark fallen hingegen tatsächlich inhaltliche Probleme wie das Nichterreichen ursprünglich geschürter Erwartungen (1,49) und unzureichend neue methodische Ansätze (1,42) ins Gewicht.
Abb. 4: Nachteilige Wirkungen auf die Entwicklung der Zukunftsforschung [6]
Darüber hinaus werden in den offenen Antworten neben den bereits sichtbaren Vermittlungsdefiziten über Inhalte und Leistungsfähigkeit der Zukunftsforschung („Die Grenzen der Zukunftsforschung werden einfach ignoriert“) insbesondere zwei weitere Bereiche angesprochen, die sich bisher nachteilig auf die Entwicklung der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum ausgewirkt haben: Einerseits bestehe ein Umsetzungsproblem und damit die „Schwierigkeit, von guten Analysen in die Operationalisierung zu kommen, also Entscheidungsträger in Firmen oder Ministerien mit diesen Ergebnissen zu erreichen und aus den Analysen konkrete Handlungsoptionen oder gar Handlungsentscheidungen zu entwickeln.“ Andererseits sei die Zukunftsforschung bisher daran gescheitert, sich „gegenüber unseriösen ‚Trendforschern‘, ‚Schlagwort-Zukunftsprognostiker[n]‘ etc.“ abzugrenzen, denen die Zukunftsforschung aber – zumindest was öffentlich wahrnehmbare Zukunftsanalysen betrifft – „auch das Feld [überlasse].“
Um die oben identifizierten Defizite und negativen Effekte zu bearbeiten, können Strategien und Aktivitäten entwickelt werden, die an unterschiedlichen Aspekten ansetzen und beispielsweise die Ausbildung von ZukunftsforscherInnen betreffen, auf eine Standardisierung und Qualitätssicherung von Zukunftsforschung abzielen oder deren Institutionalisierung vorantreiben sollen. Als am erfolgversprechendsten schätzen die TeilnehmerInnen der Befragung hierbei Aktivitäten ein, die ausbildungsbezogen sind. Die größte Zustimmung erfährt dabei eine umfassende Strategie zur Sicherstellung einer besseren Ausbildung im Bereich der Zukunftsforschung mit einem Mittelwert von 2,32 (wiederum auf der Skala von „überhaupt nicht“ bis „stark“, respektive 0–3). Auch dem in diesem Kontext konkret formulierten Vorschlag, ein Basismodul zur Integration in unterschiedliche Studiengänge zu entwickeln, wird eine hohe Wirksamkeit (2,02) zugeschrieben, um die Defizite der Zukunftsforschung anzugehen. Ebenso betrachten die Befragten die Stärkung der Fachcommunity durch eine Förderung des Austauschs zwischen ZukunftsforscherInnen als geeignete Strategie, die Entwicklung der Zukunftsforschung positiv zu beeinflussen (1,98). Damit einhergehen sollte darüber hinaus die Etablierung verbindlicher Standards für Zukunftsforschung (1,84), was – wie auch die Stärkung der Fachcommunity – direkt auf die Anerkennung und Etablierung der Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin verweist. Als weniger erfolgversprechend werden hingegen diejenigen Vorschläge eingeschätzt, die eine Institutionalisierung externer (vorrangig politischer) Akzeptanz zum Ziel haben, wie es die Zertifizierung von ZukunftsforscherInnen und Instituten der Zukunftsforschung (1,54) oder Bestrebungen zur Schaffung eines Bundesinstituts für Zukunftsforschung (1,41) darstellen (Abb. 5).
Abb. 5: Behebung der Defizite [7]
Die Freitextantworten betonen ebenfalls die zentrale Rolle, die dem Bereich der Ausbildung von ZukunftsforscherInnen zugeschrieben wird, thematisieren aber auch die Schwierigkeiten, die mit den dafür notwendigen Aushandlungsprozessen einhergehen wie etwa die konkrete Ausgestaltung des Basismoduls oder die „Verankerung entsprechender Lehrinhalte in den Curricula relevanter akademischer Disziplinen“. Außerdem wird auch hier nochmals die Notwendigkeit betont, „realistische Erwartungen an die Zukunftsforschung [zu] verbreiten“ und Strategien zur „strikte[n] Abgrenzung von unseriösen Zukunftsdeutern und deren Institutionen“ zu entwickeln. Darüber hinaus werden die Bearbeitung „aktuelle[r] und drängende[r] Fragen“, „mehr originelle Beiträge“ und „eine Positionierung über Inhalte, mit einer klaren ZF-Methodik und Herangehensweise“ gefordert, die den „Kern der Zukunftsforschung“ und damit den Mehrwert der Zukunftsforschung gegenüber den Fachdisziplinen deutlich machen und von diesen als bereichernd wahrgenommen werden. Eine zentrale Stellung sollten dabei die Betonung der „disziplinenübergreifende[n] Betrachtungsweise und die Verbindung von Analyse und Praxisbezug“ einnehmen, die es der Zukunftsforschung erlauben, eine „Orientierungsfunktion“ wahrzunehmen.
Lose verknüpft mit der Frage nach der Bearbeitung der konkreten Defizite und Entwicklungsperspektiven ist auch der thematisch abschließende Block, mit dessen Hilfe eher umfassendere Bedarfe für die Weiterentwicklung der Zukunftsforschung ermittelt werden sollten. Die Qualitätssicherung von Prozessen und Ergebnissen wird dabei von 65,5 % der TeilnehmerInnen als dringender Bedarf für die Weiterentwicklung der Zukunftsforschung betrachtet und ähnlich hoch ist auch der Wunsch nach Entwicklung zukunftsforschungsspezifischer Methoden (64 %). Etwa die Hälfte der TeilnehmerInnen (51,5 %) erkennt auch einen Bedarf, was die theoretischen Grundlagen der Zukunftsforschung betrifft, während die Praxis- oder Projektentwicklung (29,5 %) und die Vermarktung der Ergebnisse von Zukunftsforschung (27,5 %) nur von jeweils weniger als einem Drittel der TeilnehmerInnen als akute Entwicklungsbedarfe betrachtet werden (Abb. 6).
Abb. 6: Bedarfe zur Weiterentwicklung der Zukunftsforschung [8]
Über die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten hinaus sehen die Befragten vor allem Bedarfe im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, der Wissenschaftskommunikation und des Wissenstransfers, wobei auch der „Mut zur öffentlichen Diskussion“ eingefordert wird. Ansonsten wird an dieser Stelle wiederum auf die Notwendigkeit substanzieller Förderung verwiesen sowie auf die Notwendigkeit, Ergebnisse der Zukunftsforschung in konkretes Handeln umzusetzen.
Wie bereits eingangs erwähnt, bestand eines der zentralen Anliegen der Erhebung darin, Hinweise dahingehend zu generieren, wie sich die bisherige Entwicklung der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum darstellt und wie eine künftige Etablierung der Zukunftsforschung als akademische Disziplin weiter vorangetrieben werden kann. Zentrale Elemente einer solchen Etablierung bestehen beispielsweise in der Entwicklung disziplinär orientierter Netzwerke und der Entstehung fachspezifischer Zeitschriften (bspw. Zweck 2012), die eine besondere Bedeutung für das Entstehen einer stabilen Fachcommunity haben. Für die Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum sind in diesem Kontext bislang vor allem das 2007 gegründete Netzwerk Zukunftsforschung (NZF) und die 2012 erstmals erschienene Zeitschrift für Zukunftsforschung (ZfZ) interessant. Daher sollte zum Abschluss der Befragung noch ein kurzer Blick darauf geworfen werden, ob beziehungsweise wie diese beiden Institutionen von den Akteuren der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum wahrgenommen werden, um Hinweise dahingehend zu erhalten, inwiefern diese Prozesse der Etablierung der Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin in der Community selbst angekommen sind.
Von den 58 TeilnehmerInnen, die den Fragebogen vollständig ausgefüllt haben, gaben 52 an, das Netzwerk Zukunftsforschung zu kennen, sechs kannten es zum Zeitpunkt der Erhebung nicht und eine Person machte dazu keine Angabe. Von den 53 Befragten, die nicht angegeben haben, das Netzwerk nicht zu kennen, sind 24 selbst Mitglied des Netzwerks, 26 hatten bereits Kontakt zum NZF oder einem seiner Mitglieder und eine TeilnehmerIn hatte noch keinen Kontakt. Diese 53 Befragten schätzen das Netzwerk insgesamt (wiederum auf einer Skala von „negativ“ (0) bis „positiv“ (3)) als eher positiv ein (1,98), wobei allerdings angemerkt werden muss, dass zehn der TeilnehmerInnen, denen diese Frage gestellt wurde, keine Einschätzung abgegeben haben. Die Außenstehenden – Befragte, die weder selbst Mitglied sind noch angegeben haben, das NZF nicht zu kennen – nehmen das NZF etwa zur Hälfte als informativ wahr (16 Nennungen bei 30 Befragten), sechs schätzen es als „kommunikativ“ ein und ebenfalls sechs der Außenstehenden halten es für „überflüssig“.
Das sich hier bereits andeutende Kommunikationsdefizit des Netzwerks Zukunftsforschung wird allerdings nicht nur von den Außenstehenden so wahrgenommen. Auch die Mitglieder des Netzwerks fühlen sich nicht ausreichend über die Aktivitäten des NZF informiert (ø=1,26). Ihr Engagement können sie zwar in gewissem Maß einbringen (1,75) und sie machen auch in einem gewissen Umfang Werbung für das Netzwerk (1,5), die allgemeine Zufriedenheit der Mitglieder mit dem NZF erreicht aber nur einen Mittelwert von 1,17.
Ähnlich ist es um die Zeitschrift für Zukunftsforschung bestellt, der allerdings ihr noch recht junges Alter angerechnet werden kann: Von den 58 TeilnehmerInnen, die die Frage beantworteten, ob sie die ZfZ kennen, gaben ein knappes Viertel (14) an, die Zeitschrift nicht zu kennen. Lediglich sieben der TeilnehmerInnen der Befragung haben bereits in der ZfZ veröffentlicht, davon fünf auch in anderen (internationalen) zukunftsforschungsspezifischen Zeitschriften, was insgesamt 21 Befragte für sich beanspruchen. Vergleicht man dies mit den 68,5 % der Befragten, die bereits spezifisch zu Themen der Zukunftsforschung publiziert haben, liegt der Schluss nahe, dass für ZukunftsforscherInnen aus dem deutschsprachigen Raum die Publikation in zukunftsforscherischen Fachzeitschriften nicht die erste Wahl für die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse darstellt, sondern diese gegenwärtig noch eher in Monographien und Sammelbänden einerseits und andererseits in den Fachzeitschriften der Herkunftsdisziplinen der ZukunftsforscherInnen (sozial-, natur- und ingenieurswissenschaftlicher Natur) ihren Platz finden.
Die Zukunftsforschung ist – zumindest im deutschsprachigen Raum – eine noch junge Disziplin, und als solche mit den Herausforderungen konfrontiert, die die Etablierung eines Themas als akademische Disziplin regelmäßig begleiten. Dazu gehören Reinigungs- und Konsolidierungsprozesse auf theoretischer wie methodischer Ebene ebenso wie die Stabilisierung einer Fachcommunity und die damit verbundene Herausbildung disziplinspezifischer Institutionen sowie die Entwicklung spezifischer Kommunikations- und Publikationskulturen. Im Rahmen dieser Prozesse, die sich guten Gewissens unter dem Topos von Geburts- und Wachstumsschmerzen einer neuen Disziplin subsumieren lassen, wurden (nicht erst) in den vergangenen zehn Jahren unterschiedliche Aktivitäten angestoßen, die zu einer Konsolidierung der Zukunftsforschung als neue Disziplin beigetragen haben. Die vorliegende Erhebung zeigt, dass sich hier – zumindest aus Sicht der beteiligten Akteure – durchaus Entwicklungen in Richtung einer zunehmenden wissenschaftlichen Disziplinierung beobachten lassen. Allerdings weisen die im Folgenden formulierten Folgerungen auch darauf hin, dass eine nachhaltige Stabilisierung der Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin auch weiterhin gezielte Bemühungen seitens der im Feld aktiven Forscherinnen und Forscher erfordert.
So treten in der Erhebung auch Herausforderungen deutlich zutage, die spezifisch für die Zukunftsforschung gelten und einer aktiven Bearbeitung durch die Akteure der Zukunftsforschung bedürfen. Dazu gehört etwa die im Kern der Zukunftsforschung angelegte Interdisziplinarität. Folgt man wissenschaftssoziologischen Arbeiten, wird zwar deutlich, dass die interdisziplinäre Bearbeitung konkreter Probleme einen entscheidenden Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Disziplinen darstellt, die etwa Weingart (2013) als sozialen Prozess der Ausdifferenzierung von Bestehendem beschreibt. Stabilisiert sich in Folge die Disziplinen übergreifende Kommunikation bei der Betrachtung von Problem- und Fragestellungen zu einem dauerhaften Prozess, der sich zunehmend von den Ausgangsdiskursen abgrenzen lässt und sich seine eigenen Grundlagen schafft, kann daraus eine neue wissenschaftliche Disziplin entstehen (Luhmann 1992). Dennoch ist die Herausforderung im Bereich der Zukunftsforschung aufgrund ihres Gegenstandes, der in besonderer Weise auf disziplinexterne Impulse reagieren muss und sich gleichzeitig klassischen wissenschaftlichen Kriterien wie etwa der Falsifizierbarkeit (Popper 1935) zum Teil per definitionem entzieht, von besonderer Bedeutung. Diese Bedenken werden etwa in den Einschätzungen zum Image der Zukunftsforschung, zu den Defiziten oder auch zu den Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre deutlich und legen den Schluss nahe, dass eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunftsforschung weiterhin darin besteht, ihr sowohl theoretisches als auch methodisches wissenschaftliches Profil zu schärfen (Merkmale (2) und (4) der eingangs dargestellten Definition) und damit den Mehrwert gegenüber den traditionellen Disziplinen – denen sowohl die ZukunftsforscherInnen selbst als auch konkrete auf die Zukunft bezogene Fragestellungen entstammen – aufzuzeigen, um sich als wissenschaftliche Disziplin zu legitimieren. Darüber hinaus kann eine solche theoretisch-methodische Schärfung auch einen Beitrag dazu leisten, die an unterschiedlichen Stellen geforderte deutlichere Abgrenzung gegenüber „Trendforschern“ oder „Schlagwort-Zukunftsprognostikern“ zu leisten und damit mittelfristig auch die Wahrnehmung der Zukunftsforschung in der Öffentlichkeit zu verbessern.
Den TeilnehmerInnen unserer Befragung zufolge kann die Zukunftsforschung auf diesem Gebiet in den letzten zehn Jahren auch schon wichtige Fortschritte verzeichnen: Während für 2007 drei von fünf der Befragten die unzureichende Abgrenzung des Feldes als eines der größten Defizite einordnen, sieht darin für 2017 nur noch jede dritte eines der wichtigsten Probleme. Dennoch ist ihnen auch bewusst, dass hier weitere Aktivitäten dringend notwendig sind: Der große Vorsprung, mit dem die Arbeit an den Methoden und Theorien der Zukunftsforschung die Plätze zwei und drei des Bedarfe-Rankings belegen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Akteure der Zukunftsforschung der inhaltlichen Entwicklung der Zukunftsforschung zumindest kurzfristig eine höhere Priorität einräumen, als Fragen des Projektgeschäfts und der Ergebnisvermarktung.
Eine solche inhaltliche Weiterentwicklung kann jedoch nicht von einigen wenigen Akteuren im Alleingang geleistet, sondern muss als eine gemeinschaftliche diskursive Aufgabe der Fachcommunity der ZukunftsforscherInnen verstanden werden. Strukturen, die einen solchen Diskurs unterstützen können sind beispielsweise Disziplinen spezifische Netzwerke und Fachgesellschaften oder auch entsprechende Publikationskanäle. Mit dem „Netzwerk Zukunftsforschung“ und der „Zeitschrift für Zukunftsforschung“ verfügt die Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum prinzipiell über beides.
Die Erhebung zeigt allerdings, dass zumindest letztere (noch) nicht stark genug in der Gemeinde der ZukunftsforscherInnen verankert ist, um eine zentrale Rolle in der zukunftsforscherischen Diskussion einnehmen zu können. Zum einen mag dies den Umständen geschuldet sein, dass die Zeitschrift erst 2012 gegründet wurde und darüber hinaus bereits einige etablierte Fachjournale (allerdings aus dem englischsprachigen Raum) für die Auseinandersetzung mit zukunftsbezogenen Fragestellungen existieren – was eine der möglichen Ursachen für den relativ geringen Einfluss sein könnte, der dem Entstehen von Fachzeitschriften im deutschsprachigen Raum zugeschrieben wird. Eine andere Lesart bestünde darin, dass aktuell Zukunftsthemen noch zu einem größeren Teil innerhalb der traditionellen natur-, geistes-, ingenieur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen bearbeitet werden, die als Grundlage für Fragestellungen, theoretische Perspektiven und verwendete Methoden der Zukunftsforschung dienen – was wiederum eine Erklärung für die deutliche Diskrepanz zwischen der Veröffentlichung zu explizit zukunftsforscherischen Themen gegenüber der Publikation in Fachzeitschriften der Zukunftsforschung anbieten könnte. Gelingt es der ZfZ oder auch einem anderen Fachjournal, sich in den kommenden Jahren als Organ für die Publikation origineller und originär zukunftsbezogener Inhalte zu etablieren, die auch außerhalb der Gruppe der ZukunftsforscherInnen als relevant wahrgenommen werden, kann über sie ein entscheidender Beitrag zu Weiterentwicklung der entstehenden Disziplin geleistet werden.
Ähnliches gilt für das Netzwerk Zukunftsforschung. Zwar existiert mit diesem eine Struktur, die es den ZukunftsforscherInnen prinzipiell ermöglicht, etwa über Veranstaltungen des NZF oder Sammelbände, die in dessen Umfeld entstehen (bspw. Popp 2012; Popp, Zweck 2013; Gerhold et al. 2015), in einen fachlichen Austausch zu treten. Allerdings legen die Ergebnisse der Erhebung nahe, dass dessen Akzeptanz innerhalb der Zukunftsforschung (noch) zu gering ist, um diese Rolle adäquat ausfüllen zu können. Insbesondere scheint es die Erwartungen seiner Mitglieder nicht angemessen zu erfüllen, worauf nicht nur die insgesamt geringen Werte der allgemeinen Zufriedenheit seiner Mitglieder und ihre Informiertheit über Netzwerkaktivitäten hindeuten, sondern auch der Umstand, dass seine Mitglieder es insgesamt als (wenn auch nicht signifikant, dennoch sichtbar) weniger positiv (1,82) einschätzen, als die dazu befragten Nichtmitglieder (2,10). Das von den Netzwerkmitgliedern eingebrachte Engagement scheint demnach nur einen sehr geringen Effekt auf dessen Stabilisierung als möglicher Nukleus der zukunftsforscherischen Gemeinschaft im deutschsprachigen Raum zu haben und zumindest unter dieser Perspektive Gefahr zu laufen, in gewisser Weise zu verpuffen.
Neben der inhaltlichen theoretisch-methodischen Fundierung und dem Aufbau einer wissenschaftlichen Fachcommunity mit spezifischen Strukturen, ist die Etablierung der Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin eng mit ihrer Anerkennung durch die bestehende wissenschaftliche Gemeinschaft und die Öffentlichkeit sowie ihrer Integration in das akademische Umfeld verknüpft (vgl. Lenoir 1997, S. 45ff.). Zumindest für Letzteres ist die Aufnahme der Inhalte der Zukunftsforschung in die universitäre Lehre ein wichtiger Baustein – und zugleich auch Indiz für die Akzeptanz der Zukunftsforschung durch die akademische Gemeinschaft. Die Anerkennung durch die Öffentlichkeit zeigt sich etwa in der Förderung durch öffentliche Auftraggeber. Gleichzeitig können aus der öffentlich geförderten Forschung und der universitären Lehre entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung der Zukunftsforschung hervorgehen.
Es überrascht daher kaum, dass insbesondere das Entstehen von Ausbildungsangeboten und die Durchführung der BMBF-Foresight-Prozesse von den TeilnehmerInnen der Erhebung als diejenigen Aktivitäten identifiziert werden, die die Entwicklung der Zukunftsforschung in den vergangenen zehn Jahren am stärksten positiv beeinflusst haben (vgl. Abschnitt 2.3), verweisen doch beide auch auf bereits gelungene Etablierungsprozesse. Für diese akademische wie öffentliche Anerkennung wiederum stellt die Qualität der wissenschaftlichen Prozesse und der Forschungsergebnisse ein entscheidendes Kriterium dar. Eine umfangreichere Finanzierung durch öffentliche Geldgeber sowie eine breitere Verankerung der Zukunftsforschung in der Lehre an Universitäten und Fachhochschulen, wie sie im Rahmen der Befragung an unterschiedlichen Stellen gefordert werden, ist unter dieser Perspektive auch ein Effekt wahrnehmbarer wissenschaftlicher Qualität. Das Vorantreiben von Aktivitäten zur Sicherung dieser Qualität stellt denn auch für die Befragten die erste Priorität dar, wenn es um die wichtigsten Bedarfe zur Weiterentwicklung der Zukunftsforschung geht (vgl. Abschnitt 2.5). Dass für die TeilnehmerInnen die Sicherstellung einer möglichst guten Ausbildung von ZukunftsforscherInnen ein zentrales Element dieser Qualitätssicherung darstellt – was zumindest die hohe Problemlösefähigkeit nahelegt, die dieser wie auch dem konkreten Vorschlag eines Basismoduls bezüglich der aktuellen Defizite der Zukunftsforschung zugeschrieben werden (vgl. Abschnitt 2.4) – erscheint daher schlüssig: Im Kern entscheidet die Qualität darüber, ob sich die Zukunftsforschung als akademische Disziplin etablieren und sich gegenüber nicht-wissenschaftlichen Trendanalysten und Zukunftsdeutern durchsetzen kann. Und diese Qualität muss langfristig in erster Linie über die wissenschaftlichen Kompetenzen der ZukunftsforscherInnen sichergestellt werden, wofür eine qualitativ hochwertige Ausbildung die wichtigste Grundlage darstellt.
Baur, N. (2011). Ordinalskalenproblem. In: L. Akremi, N. Baur, S. Fromm (Hrsg). Datenanalyse mit SPSS für Fortgeschrittene 1. Datenaufbereitung und uni- und bivariate Statistik (S. 211–221). 3. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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Zweck, A. (2012). Gedanken zur Zukunft der Zukunftsforschung. In: R. Popp (Hrsg). Zukunft und Wissenschaft. Wege und Irrwege der Zukunftsforschung (S. 59–80). Berlin Heidelberg: Springer.
Prof. Dr. Dr. Axel Zweck: Axel Zweck ist Abteilungsleiter am VDI Technologiezentrum in Düsseldorf und Honorarprofessor für Innovations- und Zukunftsforschung an der RWTH Aachen University.
VDI Technologiezentrum GmbH, VDI Platz 1, 40468 Düsseldorf, Tel +49 211 6214-572, zweck@vdi.de
Michael Eggert, M.A.: Michael Eggert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Technik- und Organisationssoziologie sowie der Honorarprofessur für Innovations- und Zukunftsforschung der RWTH Aachen University.
RWTH Aachen University, Institut für Soziologie, Eilfschornsteinstraße 7, 52062 Aachen, +49 241 80-96335, meggert@soziologie.rwth-aachen.de
[1] Für die gesamte Ergebnisdarstellung gilt, dass die Bezugsgröße für angegebene Prozentwerte jeweils die Anzahl der gültigen Antworten darstellt und die Werte auf halbe Prozentpunkte gerundet wiedergegeben werden.
[2] „Als nächstes bitten wir Sie, uns etwas darüber zu verraten, wie Sie das Image der Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum einschätzen.“
[3] „Worin lagen Ihrer Meinung nach die Hauptdefizite der Zukunftsforschung vor 10 Jahren, also ca. 2007?“; „Worin sehen Sie die Hauptdefizite der Zukunftsforschung gegenwärtig?“
[4] Auf eine Darstellung der Werte der einzelnen Gruppen wurde in der Abbildung aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet.
[5] „Wie stark haben sich folgende Aspekte in den vergangenen zehn Jahren positiv auf die Entwicklung der Zukunftsforschung ausgewirkt?“
[6] „Was war in dieser Zeit eher nachteilig für die Zukunftsforschung?“
[7] „Wie können die folgenden Vorschläge dazu beitragen, diese Defizite zu beheben?“
[8] „Wo sehen Sie den dringendsten Bedarf an Weiterentwicklung der Zukunftsforschung?“
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Empfohlene Zitierweise ¶
Zweck, A., Eggert, M. (2019). Der lange Weg zur etablierten Disziplin. Zeitschrift für Zukunftsforschung, 1, None. (urn:nbn:de:0009-32-48531)
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