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Experten, Emotionen und soziale Innovationen

  1. Katharina Schäfer IAW - Institut für Arbeitswissenschaft, RWTH Aachen University
  2. Dr. Karlheinz Steinmüller Z_punkt GmbH, The Foresight Company
  3. Prof. Dr. Dr. Axel Zweck VDI Technologiezentrum

Zusammenfassungen

In jüngster Zeit wurden mehrere einschlägige Werke publiziert, die spannende Beiträge zur Methodik der Zukunftsforschung liefern und insbesondere auf die eine oder andere Weise Einblicke in die Rolle von Experten und Laien vermitteln. Drei davon werden in diesem Bericht kurz vorgestellt.

Several relevant works have been published recently which offer exciting contributions to the methodology of futures research and provide in one way or another insights into the roles of experts and laypersons. In this report three of them will be presented briefly.

Keywords

1. Buchbesprechungen

Einige der grundlegenden Methoden der Zukunftsforschung gehen zurück auf die späten 1940er und 1950er Jahre, als in den USA erstmals ein Think Tank heutigen Zuschnitts, die RAND Corp., Zukunftsfragen behandelte. In seiner Dissertationsschrift „Experts, Social Scientists, and Techniques of Prognosis in Cold War America” untersucht Christian Dayé (Universität Graz), wie sich wesentliche Aspekte unseres aktuellen Verständnisses von Experten, die an der Schnittstelle von Sozialwissenschaften und Politikberatung operieren, in den USA im beginnenden Kalten Krieg herauskristallisierten, auf welche Weise mit Expertenwissen umgegangen wurde und welche epistemische Rolle ihnen in programmatischen Schriften aus der Feder von RAND-Forschern, nur ausnahmsweise auch von Wissenschaftlern an Universitäten zugesprochen wurden. Zwei grundsätzliche methodische Innovationen, die Delphi-Technik und War Gaming, stehen dabei im Zentrum der zugleich wissenschaftsgeschichtlichen und philosophisch-methodologischen Untersuchungen Dayés.

Spannend liest sich beispielsweise, wie sich im Verlauf der ersten Delphistudien (etwa von 1950 bis 1962) die Art und Weise der Nutzung des impliziten Wissens (engl. tacit knowledge) von Experten verschob, die Orientierung auf einen inhaltlichen Konsens durch den Austausch von materialgestützten Kommentaren zugunsten eines rein auf Statistik beruhenden Konformismusdrucks aufgegeben wurde, in Dayés Terminologie forecasting, faktengestützte, im Diskurs erhärtete Vorhersagen, durch predictions, Vorhersagen, die ihre Relevanz allein durch die Glaubwürdigkeit der Experten erhalten, ersetzt wurden.

Die damals aufgeworfenen methodischen und erkenntnistheoretischen Fragestellungen erweisen sich auch heute noch als relevant – wie etwa aus Diskussionen innerhalb des Netzwerks „Delphi-Verfahren in den Gesundheits- und Sozialwissenschaften. Konzept, methodologische Fundierung und Güte [1] oder an Arbeitsgruppentreffen des Netzwerks Zukunftsforschung zu „Neuere Entwicklungen bei der Delphi-Methode [2] (2021) und „Serious Gaming – wir erspielen die Zukunft [3] (2022) ersichtlich ist. Zudem beobachten wir in den jüngsten Jahren, wie im Zuge von Krisen (Klima, Corona, Krieg) Experten verstärkt in der Öffentlichkeit gefragt sind, zugleich wird ihre Rolle mehr und mehr hinterfragt.

Als wissenschaftliche Disziplin bemüht sich die Zukunftsforschung um die Konstruktion möglichst objektiver Zukunftsbilder, die – sofern möglich – faktenbasiert und nicht von Emotionen gesteuert sein sollen. Letztere werden oft genug als Einfallstor für Vorurteile und Verzerrungen interpretiert. Gerade durch die (notwendige) Fixierung auf Objektivität klammern Forschende gern ihre eigenen Emotionen aus; sie erscheinen als ein blinder Fleck der Zukunftsforschung. Der Band „Gefühlte Zukunft. Emotionen als methodische Herausforderung für die Zukunftsforschung“, herausgegeben von Katharina Schäfer, Karlheinz Steinmüller und Axel Zweck, widmet sich genau dieser Leerstelle und erfasst in 15 Beiträgen die Thematik „Foresight und Emotionalität“ in großer Breite – von grundlegenden Einordnungen und Bestandsaufnahmen bis zu Berichten über Projekte und Beiträgen über die Rolle von Metaphern oder die Funktion von Narrativen.

Bekanntlich ist die Zukunft ein Feld von Hoffnungen und Befürchtungen, Visionen und Utopien; gesellschaftliche Kontroversen werden regelmäßig über emotional hochgradig aufgeladene Zukunftsbilder ausgetragen, die wiederum von der Zukunftsforschung untersucht, gegebenenfalls auch generiert werden. Aus dem Material empirisch vorliegender Zukunftsbilder emotionale Aspekte zu identifizieren und ihre Wirkung zu analysieren, gehört zur Standardpraxis der Zukunftsforschung. Bei genauerer Betrachtung spielen jedoch Emotionen eine ebenso wichtige Rolle bei denen, die die Forschung betreiben, bei Expertinnen und Experten. Dies beginnt bei der Wahl von Themen und dem Design von Forschungsprozessen, setzt sich über die Methodenwahl fort bis zur Interpretation und Kommunikation von Ergebnissen. Die Reflektion über diese Fragestellungen – damit die Selbstreflektion der Forschenden über ihre eigenen Emotionen – scheint nach Ansicht der Beitragsautoren und der Herausgeber durchaus noch revisionsbedürftig. Spannende Einblicke ergeben sich beispielweise bei den Beiträgen über die Tabuisierung von unbequemen Themen im Forschungsprozess oder die Verwandlung von Foresight in „Fearsight“ (Florence Gaub), gemeint ist die Verzerrung und Verwässerung von Resultaten durch sozialen Druck insbesondere im Kontext von politischen Prozessen oder administrativen Hierarchien.

Die Frage nach dem Verhältnis von Experten und Laien stellt sich auf besondere Weise bei sozialen Innovationen. Zukunftsforschung und soziale Innovationen sind aufs Engste miteinander verbunden, weil letztlich jeder Art von Zukunftswissen ein Handlungsimpuls innewohnt. Selbst empirisch-positivistische Zugänge zur Zukunftsforschung sind durch den Wunsch motiviert, das gewonnene Zukunftswissen in die Tat umzusetzen, sprich: bestehende Verhältnisse zu verändern und zu verbessern, sprich: zu innovieren. Dennoch gibt es strukturelle Unterschiede zwischen den Feldern der Zukunftsforschung und der sozialen Innovation: Zukunftsforschung interessiert sich generell für Veränderungen und Wandel, während soziale Innovationen eine spezielle Art von Veränderungen sind. Die Forschung zu sozialen Innovationen fokussiert soziale Praxen im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse, Zukunftsforschung führt – im besten Fall – zu Wissen über die langfristigen Entwicklungslinien ebenjener Transformationsprozesse, das wiederum im Prozess orientierungsstiftend eingebracht werden kann. Entsprechend differenziert fallen in diesem Zusammenhang auch die Rollen von Experten (aus der Forschung) und Laien (also Experten für gesellschaftliche Praxis) aus.

Der Sammelband „Soziale Innovation im Kontext“ greift das große Interesse auf, das sozialen Innovationen schon seit einigen Jahren entgegengebracht wird. Die zwölf Beiträge thematisieren sowohl konzeptionelle und theoretische Überlegungen als auch den Zusammenhang von sozialer Innovation und gesellschaftlicher Teilhabe. Dabei wird die Bedeutung von Partizipation aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und anhand konkreter Beispiele – etwa der Bewegung „Fridays for Future“ oder der Genossenschaften im 19. Jahrhundert – illustriert. Weitere Autoren untersuchen den Einfluss institutioneller, organisatorischer und räumlicher Rahmenbedingung auf die konkrete Ausgestaltung von Prozessen sozialer Innovation. In der Zusammenschau reflektieren die Beiträge die Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit sozialer Innovationen und zeigen deren Facettenreichtum und Relevanz für verschiedene Handlungsfelder und Themengebiete auf. Insgesamt beugt der Band einer Verwässerung und Vereinnahmung des Begriffs vor.

2. Literaturverzeichnis

Dayé, Christian (2020): Experts, Social Scientists, and Techniques of Prognosis in Cold War America. Palgrave Macmillan, Cham.

Schäfer, Katharina / Steinmüller, Karlheinz / Zweck, Axel (Hrsg.) (2022): Gefühlte Zukunft. Emotionen als methodische Herausforderung für die Zukunftsforschung. Springer VS, Wiesbaden.

Schüll, Elmar / Berner, Heiko / Kolbinger, Martin Lu / Pausch, Markus (Hrsg.) (2022): Soziale Innovation im Kontext. Beiträge zur Konturierung eines unscharfen Konzepts. Springer VS, Wiesbaden.

PS: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir darauf verzichtet, generische Maskulina zu ersetzen. Unabhängig von ihrer grammatikalischen Form verstehen wir sie als Sammelbezeichnung für Personen jeglichen Geschlechts.

Katharina Schäfer, Karlheinz Steinmüller und Axel Zweck



[1] https://delphi.ph-gmuend.de/

[2] https://netzwerk-zukunftsforschung.de/veranstaltung/virtuelles-arbeitsgruppentreffen-neuere-entwicklungen-bei-der-delphi-methode/

[3] https://netzwerk-zukunftsforschung.de/veranstaltung/arbeitsgruppentreffen-serious-gaming-wir-erspielen-uns-die-zukunft/

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